Prominente Pretzfelder Bürger des 20. Jhs.
Kunst- und Kulturschaffende – Curt Herrmann und Christoph Beck
Seit dem Ende des 19. Jhs. ist die interessante Tatsache zu beobachten, dass die Gemeinde in der Fränkischen Schweiz immer wieder Menschen in ihren Mauern beherbergte, die einen überregionalen Bekanntheitsgrad erreichten. Der älteste von ihnen war der am 1. 2. 1854 in Merseburg geborene Maler Curt Herrmann, der vom französischen Neoimpressionismus beeinflusst wurde und demnach als „deutscher Signac” gilt. 1897 heiratete er in Berlin seine Schülerin Sophie Herz, eine Enkelin des 1885 verstorbenen Schlosseigentümers Kohn. Von da an tauchten Pretzfeld, das dortige Schloss und seine Umgebung immer wieder als Motive seiner Bilder auf. 1923 wählte Herrmann das Schloss zu seinem ständigen Aufenthaltsort, starb aber schon am 13. 9. 1929 in Erlangen.
Zwanzig Jahre jünger als Herrmann war Christoph Beck, der am 28. 4. 1874 in Pretzfeld als Sohn einer alteingesessenen Bauernfamilie geboren wurde. Nach Gymnasialzeit und Studium, das er mit dem Doktor der Philosophie (Dr. phil.) abschloss, war er als Lehrer in Nürnberg und am Alten Gymnasium in Bamberg tätig. 1932 wurde er als Direktor an die neugegründete Realschule in Nürnberg berufen, zusätzlich wurde ihm die Leitung des Reformgymnasiums übertragen. Seine Karriere als Schulleiter fand allerdings ein jähes Ende, als er es im Jahr darauf bewusst unterließ, anlässlich einer Entlassungsfeier ein „Hoch” auf den Reichskanzler Adolf Hitler auszurufen: Im Oktober 1933 wurde der noch nicht sechzigjährige Beck vorzeitig pensioniert. Er starb am 20. 12. 1939 in Nürnberg und wurde in einem noch bestehenden Grab auf dem Pretzfelder Friedhof beigesetzt. Von seinen Veröffentlichungen auf dem Gebiet der Heimatdichtung und ‑forschung sei besonders auf das Büchlein „Mein Pretzfelda Landsleut” hingewiesen, daneben auf die „Daham auf da Hausstaffl” betitelten Heimaterinnerungen. Ehrenbürger seines Geburtsortes war Beck schon im Sommer 1927 geworden, nachdem er mehrfach altfränkische Trachtenfeste organisiert hatte.
Industriephysiker – Walter Schottky und Eberhard Spenke
Jahre des Zweiten Weltkriegs liegen zwischen dem Tod Christoph Becks und dem Eintreffen Walter Schottkys in Pretzfeld. Der am 23. 7. 1886 in Zürich (Schweiz) geborene Sohn eines deutschen Mathematikers studierte nach Jugendjahren in Zürich, Marburg und Berlin Physik und promovierte 1912 bei Max Planck. Anfang März 1916 wurde er bei Siemens & Halske angestellt. In diese bis 1919 andauernde erste Berliner Siemenstätigkeit fallen bereits wichtige Entdeckungen: Schottky erfand 1916 die „Schutznetz”-Elektronenröhre (Schirmgitter-Tetrode), 1918 das Superheterodyn-Prinzip für den Funk-Empfang und entdeckte im gleichen Jahr den „Schroteffekt” in Elektronenröhren, ein akustisch an das Prasseln von Schrotkörnern erinnerndes Rauschen aufgrund der Quantenstruktur der Elektrizität. Die Jahre 1920 bis 1922 führten ihn erstmals nach Franken, da er zunächst eine Universitätslaufbahn anstrebte und sich dazu 1920 in Würzburg habilitierte, d. h. für die Übernahme einer Professorenstelle qualifizierte. Nachdem er während dieser ganzen Zeit als externer wissenschaftlicher Berater mit der Firma in Kontakt geblieben war, kehrte er 1927 ganz zu Siemens nach Berlin zurück. Die in den folgenden Jahren erbrachten Leistungen berechtigen dazu, Walter Schottky als den bedeutendsten deutschen Industriephysiker des Jahrhunderts anzusehen. Einen gewissen Abschluss seiner damaligen Forschungsarbeiten stellt die 1938 bis 1941 entwickelte Theorie der Gleichrichtung in Halbleiter/Metall-Kontakten dar, die 1942 abschließend publiziert wurde. Im Februar 1944, als die zunehmende Bombardierung Berlins die dortige Weiterarbeit unmöglich gemacht hatte, verlegte Schottky seinen Wohnsitz nach Pretzfeld.
„… wir müssen, wie so viele Deutsche, auf die Zerstörung aller unserer Hoffnungen durch diesen verbrecherischsten und dilettantischsten aller Kriege gefasst sein.“ Aus einem Brief Walter Schottkys vom 17. 3. 1945
Nach dem Zweiten Weltkrieg blieb er weiterhin für Siemens tätig, hatte aber keinen unmittelbaren Einfluss mehr auf die weitere Entwicklung der Elektrotechnik. Vielmehr übernahm er den Vorsitz des Halbleiterausschusses des Verbandes Deutscher Physikalischer Gesellschaften und kümmerte sich seit 1953 um die Etablierung der neuen Disziplin „Halbleiterphysik” in der jungen Bundesrepublik. Dadurch profilierte er sich auch noch als Forschungsorganisator. Walter Schottky starb am 4. 3. 1976 im Kreiskrankenhaus Forchheim, ist aber in Pretzfeld bestattet. Bereits am 18. 3. 1976 beschloss der Marktgemeinderat, einen Teil der Bahnhofstraße in „Walter-Schottky-Straße” umzubenennen. Dem folgte Ende 1987 die Namengebung der Schule als „Walter-Schottky-Volksschule”.
Der am 5. 12. 1905 in Bautzen geborene Apothekerssohn Eberhard Spenke hatte ebenfalls Physik studiert und 1928 in Königsberg promoviert. Von 1929 bis zum Kriegsbeginn war er mathematischer Assistent Walter Schottkys bei Siemens in Berlin. Seine Hauptleistung in dieser Zeit war die mathematische Ausgestaltung von Schottkys Randschichttheorie der Gleichrichtung in Halbleiter/Metall-Kontakten. Seit April 1940 arbeitete er im Auftrag der Marine an Sperrbrechern zur Abwehr von magnetisch ausgelösten Minen. Anfang April 1945 floh Spenke vor der anrückenden roten Armee nach Holstein. Dort knüpfte er nach Kriegsende bei der Siemens-Verlagerungsstätte in Sielbeck an seine früheren Halbleiterforschungen an. Sein Augenmerk galt dabei der Umsetzung von Schottkys Theorie in marktfähige Produkte, besonders Selengleichrichter. 1946 verlegten die Siemens-Schuckertwerke die Selengruppe Sielbeck nach Pretzfeld. Hier baute Spenke eine Arbeitsgruppe auf, die in den folgenden zehn Jahren bedeutende Erfolge erzielte: Zusammen mit dem Werkstoffhauptlaboratorium von Siemens & Halske wurde bis 1956 ein aus drei Schritten bestehender Siemens-Prozess zur Erzeugung von Silizium in Halbleiterqualität entwickelt. Bis heute wird Halbleiter-Silizium weltweit nach diesem Prinzip hergestellt. Im gleichen Jahr 1956 wurden die ersten Silizium-Leistungsgleichrichterelemente vorgestellt. Silizium-Leistungsbauelemente wurden aber in der Folgezeit in Pretzfeld nicht nur entwickelt, sondern auch angefertigt. Von 1969 an bis zu seiner Pensionierung Ende 1970 war Spenke mit der Verlagerung des Entwicklungsbereiches nach München beschäftigt. Er starb am 14. 11. 1992 in einem Erlanger Seniorenstift und fand, ebenso wie Christoph Beck und Walter Schottky, auf dem Pretzfelder Friedhof seine letzte Ruhestätte. Im Dezember 1980 war ihm anlässlich seines 75. Geburtstages die Ehrenbürgerwürde der Marktgemeinde verliehen worden.
Leistungshalbleiter wurden in Pretzfeld noch einige Jahrzehnte lang produziert, am Ende von der Siemens-Tochterfirma eupec (European Power-Semiconductor and Electronic Company), die ursprünglich zusammen mit Daimler-Benz gegründet worden war. So traf die bereits 1989 einmal erwogene völlige Schließung des Betriebes, die 2001 beschlossen und Ostern 2002 durchgeführt wurde, Arbeitnehmer und Funktionsträger in Pretzfeld wie ein Keulenschlag. Ein halbes Jahrhundert Halbleitertechnik (im Volksmund „Halbleiterei”), die die Wirtschaft des Ortes stark geprägt und diesen international bekannt gemacht hatten, waren zu Ende.
Text: Martin Schottky